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von m5bere2 » Montag 4. Januar 2021, 12:58
Was "Putinsche" Mathematiker betrifft: Alex, die unter Putin ausgebildeten Mathematiker sind im Moment gerade mal 30 Jahre alt. Ich sage dir mal, wie es vor Ort aussieht: ich bin 35, meine Generation fehlt in der russischen Wissenschaft komplett. Das ist die Generation, die in den 90ern aufgewachsen ist und zur Schule ging, als Wissenschaftler Pfandflaschen sammeln mussten.
Meine Generation fehlt, es gibt aber viele ältere Kollegen (sowjetische Mathematiker) und viele sehr fähige jüngere Kollegen, die sogar die Resultate ihrer Bachelor-Arbeiten in den angesehensten Fachzeitschriften publizieren. Warum gibt es wieder Nachwuchs? Weil es jetzt wieder Perspektiven für junge Wissenschaftler gibt. Man kann viel im russischen Bildungswesen kritisieren (das mache ich auch, aber nicht in Foren, sondern bei den dafür zuständigen Stellen wie dem Bildungsminister). Aber man hat dafür gesorgt, dass man als junger Wissenschaftler (insb. Mathematiker) wieder seinen Lebensunterhalt sichern kann, sogar eine Wohnung kaufen, und gleichzeitig Forschung betreiben. Von meinen Mitarbeitern zieht es keinen ins Ausland, weil sie hier gut bezahlt werden und international konkurrenzfähige Resultate erzielen und weil wir hier etwas Neues aufbauen (lies: hier ist es interessant und man hungert auch nicht). Dieser Nachwuchs ist aber erst um die 20-30 Jahre alt. Bis wir unter diesen Fieldsmedaillienträger sehen werden, müssen schon noch 10 Jahre vergehen.
Und Alex, sei ehrlich, würdest du Perelman überhaupt kennen, wenn er die Fieldsmedaillie nicht ausgeschlagen hätte? Kennst du denn die Fieldsmedaillienträger nach ihm und vor ihm? Sein Nachfolger Smirnov arbeitet zwar in der Schweiz, hat aber z.B. in Petersburg eine neue Forschungsgruppe aufgebaut mit Förderung der RF. Mit dieser Gruppe arbeiten wir auch zusammen. Er hat was Bleibendes geschaffen. Perelman hat nicht einen einzigen Studenten oder Doktoranden...
Und letztendlich ist für die IT- und Hackerkonkurrenzfähigkeit ;-) nicht entscheidend, wievele Spitzenmathematiker man hat, sondern wie es um die mathematische Bildung im Mittel so steht. Und hier vergleichen wir Deutschland, wo man sich damit rühmt, schlecht in Mathematik zu sein, und Russland, wo Mathematik eine angesehene Wissenschaft ist. Und ich sehe auch nicht, wo mich Putin stört, gewissenhaft meinem Lehrauftrag nachzugehen. Wenn Dozenten schlecht lehren und die Studenten bei Prüfungen betrügen lassen, dann sind die Dozenten schuld, und nicht ein Präsident. Ich mache meine Arbeit ordentlich, egal was die da in Moskau treiben. Wenn man selber seine Arbeit nicht ordentlich macht, braucht man nicht auf Putin schimpfen.